hungen der Welt wiedergeben, und daß schlechthin nichts von der Qualität der Erlebnisse in sie eingeht. Man hat oft von der Physik gesagt, meist mit der Absicht eines Vorwurfes, daß sie die qualitative Seite der Welt gänzlich unberücksichtigt lasse und an deren Stelle ein Gebäude von leeren abstrakten Formeln und Begriffen gebe. Jetzt sehen wir, daß die Aussagen der theoretischen Physik sich in dieser Hinsicht nicht im geringsten von allen anderen Aussagen des täglichen Lebens und auch denen der Geisteswissenschaften unterscheiden. Nur scheinbar geht in die letzteren etwas von der qualitativen Buntheit des Universums ein, weil in ihren Sätzen viele Worte vorkommen, welche unmittelbar Erlebtes bezeichnen. Dem Physiker scheint es versagt zu sein, mit dem Dichter von einer grünen Wiese und einem blauen Himmel zu sprechen, oder mit dem Historiker von der Begeisterung eines Helden der Geschichte oder der Verzückung eines Religionsstifters. Es ist richtig, daß er diese Worte nicht verwendet, aber es ist nicht richtig, daß er mit Hilfe seines Begriffssystems prinzipiell nicht imstande wäre auch alles das auszudrücken, was den mitteilbaren Sinn der Äußerungen des Historikers und des Dichters bildet. Denn der Sinn jener vom Dichter oder Psychologen gebrauchten Worte kann unter allen Umständen nur durch Zurückgehen auf die formalen Beziehungen zwischen den Gegenständen angegeben und erklärt werden. Das Wort „grün“ ist nicht reicher (im Gegenteil, sogar ärmer) als der Begriff der Frequenz der Lichtschwingungen, welchen der Physiker an seine Stelle setzt. Das Wort „grün“ drückt ja nicht wirklich aus, was man beim Anschauen einer grünen Wiese erlebt, das Wort ist dem Grünerlebnis nicht inhaltlich verwandt, sondern es drückt nur eine formale Beziehung aus, durch die alle Gegenstände, die wir grün nennen, miteinander verbunden sind[1]. Die Geisteswissenschaften und die Dichtung unterscheiden sich nicht dadurch von der exakten Erkenntnis, daß sie etwas ausdrücken könnten,
- ↑ Man vgl. die scharfsinnigen und unwiderleglichen Ausführungen von R. Carnap in seinem Werk „Der logische Aufbau der Welt“, in dem er dartut, daß alle wissenschaftlichen Urteile sich auf reine Strukturaussagen — dieser Begriff entspricht unseren „Formalen Beziehungen“ — beschränken müssen. Wir fügen hinzu, daß dies von allen sinnvollen Urteilen überhaupt gilt, denn die Argumente bleiben fur alle, auch die nichtwissenschaftlichen Aussagen gültig. Vgl. ferner Ludwig Wittgenstein, „Tractatus logico-philosophicus“, deutsch und englisch, London 1922.