Bruns 99 Ich bezweifle sehr, dass der Ausdruck dithyrambiche Ergiisse, so sehr er auf auf Wanderers Sturmlied und noch auf die Harzreise im Winter passt, am Platze ist bei den spateren Hymnen Goethes, die sprachlich, rhythmisch und gedanklich von einer reifen Ruhe sind. Auch mutet mich die Konstruktion von dauernd, es als Adjektiv auf Cotter zu beziehen, sehr gezwungen an; das Natiir- lichere ist jedenfalls es als Adverb aufzufassen. Gegen die ganze Erklarung sprechen der Rhythmus, die Melodic des Gedichtes, die Goethesche Naturanschauung und die Wahl des Bildes. Melo- disch stort mich schon die Lesart sie, was ja subjektiv sein kann. Aber man versuche nur die Wottejenen, (32), uns (34), unser (38), ihres (41), durch Hochton oder sonst hervorzuheben, und die Folge ist eine logische Betonung, die den natiirlichen melodischen Fluss der Verse durchbricht und zum Wesen der Lyrik iiberhaupt in Widerspruch steht. Noch unmoglicher wird diese Betonung, wenn man, bei der Lesart sich, ihres auf Gotter beziehen will. Sodann mochte ich, mit der Weimarer Ausgabe, bezweifeln, dass das Ge- dicht in der Unterscheidung von Gottern und Menschen gipfeln muss, dass damit asthetisch etwas gewonnen ist: das Thema ist Grenzen der Menschheit, und vom Menschen diirfte deshalb die Schlussstrophe fiiglich reden. Goethe lag die Anschauung von einer gewissen Ahnlichkeit von Gottern und Menschen durchaus nahe; der jugendliche Stiirmer und Dranger hatte den Genius unter dem Bilde des Gottlichen gezeichnet und in dem Gedichte Das Gottliche (1783) zeichnet er das Gottliche unter dem Bilde des Edel-Menschlichen. Es diirfte in dieser Hinsicht nicht ohne Be- deutung sein, dass Goethe die Beiden Gedichte, Grenzen der Mensch- heit und Das Gottliche, zusammenstellte. Ohne Belang ist Carl Alts Erklarung: "Vgl. zu dem Gegensatz zwischen Gottern und Men- schen Tasso V. 1074 f," denn Tasso stellt hier Erdengotter (d.h. Ftirsten) und andere Menschen einander gegenuber. Was unterscheidet Gotter von Menschen? Dass viele Wellen Vor jenen wandeln, Ein ewiger Strom. Was also die Gotter vor den Menschen voraus haben, ist die ewige Fortdauer ihres Daseins. Zu beachten ist die passive Rolle der Gotter in diesem Bilde: sie sind Zuschauer, und die Menschenge-
schlechter werden nicht von aussen her aneinander gereiht, son-